Dienstag, 30.12.2014 – Donnerstag, 1.1.2015
Langsam frage ich mich wirklich, ob ich mir da eine Schlafkrankheit eingehandelt habe! Oder kriege ich meine allgemeine Erschöpfung einfach nicht in den Griff?
Der Dienstag war ja noch ein normaler und ziemlich voller Arbeitstag, aber sowohl am Silvestertag, als auch am Neujahr schlafe ich um Stunden länger, als gewöhnlich. Fast finde ich das ein wenig bedenklich. Flüchte ich mich vielleicht in den Schlaf, um mich vor Ängstlichkeit oder Nachdenklichkeit zu schützen?
Am Silvester-Morgen spüre ich zudem eine gewisse Antriebslosigkeit. Nur mit großer Mühe schaffe ich es gerade noch um die Ecke in den Supermarkt, um ein paar Kleinigkeiten einzukaufen. Ach je, so leicht antriebslose Phasen habe ich immer mal wieder kurzzeitig – eigentlich nicht wirklich etwas Besonderes. Aber kaum habe ich mein Plasmozytom, also Krebs, da mache ich mir gleich Sorgen um mich selber.
Hinzu kommt, dass ja Silvester ist – da brauche ich nicht zu “funktionieren”, keine Arbeit ruft, sonst auch nichts. Eigentlich ist doch alles gut!
Ein paar Gedanken aber huschen mir doch immer wieder mal durch den Sinn – Fragen, die mir gestellt worden waren, Anmerkungen von Freunden. Ob ich mir wohl die Frage stelle, warum es gerade mich erwischt hat? Eine andere Freundin meinte, es sei ja soo ungerecht, was mir in diesem Jahr so alles widerfährt! Das hätte ich nicht verdient! Oder: Ob es wohl so sei, dass mein zuweilen nicht besonders gesunder Lebenswandel Schuld am Krebs sei? Oder zumindest seinen Anteil daran hat?
Ja, Du meine Güte! Üblicherweise wehre ich solche Gedanken ab! Aber nicht immer.
Aber bei solchen Gedanken kann man ja nur trübsinnig werden, man muss ja geradezu mies draufkommen dabei! Und irgendwie schnappen diese Gedanken an diesem Silvester-Morgen mal nach mir. Erstmalig eigentlich.
Aber mit ein paar klaren Gedanken wird einem eigentlich schnell klar: Diese Fragen und Gedanken von Bekannten und Freunden sind idiotisch! Sie führen zu nichts, man erhält kein wirkliches Ergebnis – und sie ziehen einen eigentlich nur runter.
“Warum gerade ich?”
Gegenfrage: “Warum denn nicht ich?”
Jeder Dritte bis Vierte erkrankt im Laufe des Lebens an Krebs, früher oder später. Die einzig mögliche Antwort auf die unsägliche Frage “warum gerade ich?” ist: Pech gehabt!
So, wie man auch Pech hat, wenn man eine schiefe Nase hat. Oder Haarausfall kriegt. Oder Fußpilz. Oder Falten. Oder eben ein Plasmozytom.
Schlicht und einfach Pech gehabt!
Gedanken über eine Ursachensuche ist völlig nutz- und sinnlos und bietet einem eigentlich nur eine Anleitung zum Unglücklich-sein.
Und davon gönne ich mir heute gerade mal einen winzigen Schluck – mehr aber auch nicht.
Jegliche Suche nach Ursachen für mein Plasmozytom ist eh zum Scheitern verurteilt! Es gibt leise Vermutungen, dass ein Plasmozytom vielleicht durch Strahlung entsteht, auch durch radioaktive Strahlung. Davon habe ich nicht wirklich viel abbekommen. Aber vielleicht habe ich ja jetzt ein Plasmozytom, weil ich 1986 wenige Wochen nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl für sechs Wochen in Ungarn war und unter anderem Wildfleisch und Pilze gegessen habe? Soll ich jetzt etwa diese großartige Reise für ein Praktikum während meines Studiums bereuen? Welch ein Unfug! Und ungeschehen kann ich eh nichts machen.
Vielleicht habe ich mein Plasmozytom durch die Höhenstrahlung bei Flügen im Flugzeug?
Vielleicht kommt es von der schadstoffhaltigen Luft, die ich beim Radeln im dichten Hamburger Straßenverkehr eingeatmet habe? Vielleicht reichte da ein einziges der vielen, vielen krebserregenden Benzol-Moleküle aus dem Auspuff eines Autos?
Vielleicht habe ich Krebs, weil ich alle zwei Wochen im Fußball-Stadion ein paar Zigaretten rauche?
Vielleicht habe ich Krebs, weil ich nicht genügend Grünzeug esse und damit mein Immunsystem nicht genug auf Trab gehalten habe?
Vielleicht aber habe ich das Plasmozytom einfach nur aus einer kleinen Laune der Natur heraus bekommen? Einfach etwas Pech?
Vieles ließe sich noch finden an solchen Ideen! Aber niemand, auch ich nicht ich selber, wird mir jemals eine schlüssige Antwort geben können, warum ich jetzt Krebs habe. Man zermürbt sich das Hirn völlig sinnlos. Und die Frage nach der Gerechtigkeit ist eben so sinnloser Unfug! Ist das Leben, ist die Natur “gerecht”?
Also: Weg mit diesen Gedanken! Sie helfen nicht – passen aber bestens zu Silvester.
Silvester an sich mag ich schon lange nicht mehr gern. Aufgesetzte Feiern und Lustigkeit, wildes Saufen, Böllern – nur, weil ein neues Jahr anfängt. Irgendwie geht mir das ab. In diesem Jahr noch mehr als jemals sonst.
Eine Menge Freunde und Bekannte aus meinem Umfeld haben mich in diesem Jahr eingeladen, meist nicht zu großen Feiern, sondern eher zu netten, kleinen Beisammensein. Viele dieser Einladungen waren auswärts und hätten eine Übernachtung nötig gemacht. Das war mir gerade einfach zu viel. Also sage ich in diesem Jahr einfach alles ab – mit völlig undiplomatischer Ehrlichkeit: Ich habe keine Lust auf Silvester und wolle es einfach verstreichen lassen.
Dazu jedoch kommt es dann doch nicht ganz. Abends gegen halb zehn stand plötzlich meine gerade vom Krebs genesene Nachbarin vor der Tür und fragte, ob ich den Abend wirklich allein verbringen wolle oder sie besuchen möge. Krebs verbindet irgendwie, vor einigen Tagen hatte ich sie ja schon als Teil meines Schutzengels identifiziert – also willigte ich gerne ein. Es war ein ruhiger, schöner Silvester-Abend.
Silvester mit dem Schutzengel.
Die trüben Gedanken vom Nachmittag waren nur ein kurzer Hauch – schnell habe ich meine stabile Verfassung wieder gefunden. Der Schutzengel war nicht ganz unbeteiligt daran.
Aber Silvester ist immer auch etwas ganz, ganz besonderes für mich. Direkt daran anschließend folgt mit dem Neujahrstag schließlich einer meiner höchsten Feiertage überhaupt: Der Geburtstag meiner Tochter. Aber, nun, sie feiert nicht in Hamburg. Also muss ich dieses feierliche Gefühl für mich allein genießen. Aber das kenne ich schon aus so einigen Jahren.
Für mich gibt es also einen 1. Januar ohne Geburtstagskuchen. Da kann ich meiner neuen Lieblingsbeschäftigung ja ausgiebig frönen – also, dem ausgiebigen Schlafen, meine ich. Fast wird mir mein neu errungenes Schlafbedürfnis schon wieder unheimlich. Na ja, und wenn man einem unheimlichen Gefühl ausweichen will, dann schläft man doch am besten eine Runde…
Morgen ist schließlich schon wieder ein Arbeitstag. Ein nicht ganz gewöhnlicher: Die Jahreswende bringt immer einiges Spannendes mit sich. Die Jahreswerte für die Luftverschmutzung in Hamburg wollen ermittelt werden. Und es ist immer spannend, zu schauen, wie gewaltig der Dreck in der Luft durch das Silvesterfeuerwerk war. Dies kann je nach Witterung sehr unterschiedlich sein.
Aber das wird morgen ergründet. Bis dahin drehe ich mich noch mal auf die andere Seite. Gute Nacht!